Götz Aly :

Hitlers Volksstaat
Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus

Sachbuch, 2005

Inhalt

In dem vorliegenden Buch soll die Symbiose von Volksstaat und Verbrechen sichtbar gemacht werden. Dafür gilt es, den immer noch verbreiteten historiographischen Ansatz zu überwinden, der die so offensichtlich grausame Seite des Nationalsozialismus von denjenigen politischen Aktionen isoliert, die dasselbe Regime für die Mehrheit der Deutschen so attraktiv machte. […] Das Fragen nach den Voraussetzungen dieser Verbrechen entspricht meinem Zugang und bildet die innere Feder – auch für dieses Buch. — Aly: Hitlers Volksstaat S. 11

Götz Aly führt daher zunächst auch diese attraktiven Seiten der Regimes an: die Aufbruchsstimmung, die propagierte Klassenharmonie, die Einführung des bisdahin fast unbekannten "Urlaubs", den Beginn der Volksmotorisierung, Stärkung der Schuldnerrechte, … und nicht zuletzt die Schaffung von Arbeitsplätzen – vorallem dank der Aufrüstung.

Finanziert wurde das alles durch Schulden. Gewaltige Schulden. Die stärkere Besteuerung der Wohlhabendenen und Reichen und die schrittweise Plünderung der Juden bildeten zwar zusätzliche Einnahmequellen, konnten die Defizite aber keineswegs schließen. Praktisch vor dem Bankrott stehend, begann das "Großdeutsche Reich" seinen räuberischen Krieg.

Das NS-Regime tat alles, um die katastrophalen Zustände der "Heimatfront" wie sie aus der Zeit des Ersten Weltkrieges noch in grauenvoller Erinnerung waren, zu vermeiden: Inflation, Hunger, Kriegssteuern, Pfändungen, Kriegsgewinnler … Nichts davon sollte sich wiederholen, war die wichtigste Vorgabe.

Bald musste eine Kappungsgrenze festgelegt werden, damit der Familienunterhalt das vor dem Kriegsdienst des Ernährer verfügbare Nettoeinkommen nicht überschritt. […] Auch wenn der Durchschittswert etwas niedriger [als über 85 % des Normaleinkommens] lag, ließ sich bei weitgehender Preisstabilität, bei vollkommenem Mietstopp und Pfändungsverbot gut leben. Rechnet man Sold und Verpflegung des Eingezogenen dazu, dann verfügten nicht wenige deutsche Familien im Krieg über höhere Einkünfte als im Frieden. — Aly: Hitlers Volksstaat S. 88f.

Finanziert wurde die Nichtbelastung des "kleinen Mannes" – der mit Ausnahme weniger, indirekter Steuern (wie auf Alkohol und Tabak) keine kriegsbedingten Steuern zu entrichten hatte – alles vorallem durch die besetzten Gebiete:

Im Zweiten Weltkrieg erlegte Deutschland Europa beispiellose Besatzungskosten und Kontributionen auf, dazu Zwangskredite sowie so genannte Martikularbeiträge. Die Kriegslasten überstiegen den letzten Friedenshaushalt eines besetzten Landes sehr schnell um mehr als 100, in der zweiten Kriegshälfte oft um mehr als 200 Prozent. — Aly: Hitlers Volksstaat S 95

Den Hauptteil des Buches Hitlers Volksstaat widmet sich der systematischen Ausbeutung des besetzten Auslandes zugunsten der Heimat: Währungsmanipulationen, die sogenannten "Reichkriegskassen(scheine)" – »das Rückgrat der bemerkenswert elegant organisierten Ausplünderung Europas« –, mit denen die deutschen Soldaten im Ausland praktisch alles kauften, was sich irgendwie beschaffen und nach Hause schicken ließ – wissentlich gefördert vom NS-Staat –, Zwangsenteignungen der Juden (und anderer "Staats-Feinde") durch die besetzten Länder und die Vernichtung der (wenigstens theoretischen) Gläubiger. Zusammenfassend meint Aly:

Das System war zum allgemeinen deutschen Vorteil angelegt. Am Ende hatte jeder Herrenmensch – und das waren nicht allein irgendwelche NS-Funktionäre, sondern 95% der Deutschen – Anteile von dem Geraubten in Form von Geld in der Tasche oder als importierte, im besetzten Ausland mit geraubtem Geld und Gold bezahlte Lebensmittel auf dem Tisch. Bombenopfer trugen Kleider der Ermordeten und atmeten in deren Betten auf, dankbar, noch einmal davongekommen zu sein, dankbar auch dafür, dass Staat und Partei so schnell geholfen hatten.
Der Holocaust bleibt unverstanden, sofern er nicht als der konsequenteste Massenraubmord der modernen Geschichte analysiert wird. — Aly: Hitlers Volksstaat S. 318

Die NS-Funktionäre – von Hitler abwärts – interessierten sich für die Details kaum. Sie setzten (wie sonst auch) nur die groben Richlinien fest und verließen sich auf den Einfallsreichtum ihrer Beamten.

Die Politiker wären ohne fortlaufende Korrektur durch die Fachleute sofort im Währungs- und Schuldenchaos versunken. Hätten jedoch die Politiker die Fachleute nicht gezügelt und von Fall zu Fall den Primat der Politik durchgesetzt, wäre die Massenloyalität schnell ruiniert worden. Erst das kontroverse Zusammenwirken beider Kräfte sicherte die stets gefährliche Balance. — Aly: Hitlers Volksstaat S. 353

Schon vor dem Angriff auf die bisdahin verbündete Sowjetunion, war der NS-Spitze klar, dass die bisherige Beute keineswegs genügte. Aly zitiert u.a. aus Goebbels Tagebuch:

Der Führer sagt: ob recht oder unrecht, wir müssen siegen. Das ist der einzige Weg. Und er ist recht, moralisch und notwendig. Und haben wir gesiegt, wer fragt uns nach der Methode. Wir haben sowieso soviel auf dem Kerbholz, daß wir siegen müssen, weil sonst unser ganzes Volk, wir an der Spitze mit allem, was uns lieb ist, ausradiert werden. — Goebbels: Tagebuch (16.6.1941)

Trotz der gewaltigen Gebietsgewinne bis 1942 und aller damit verbundenen neuen Einnahmequellen, reichte es nie, um den riesigen Schuldenberg abzudecken, sondern nur dazu, über ausreichend Mittel zur Weiterfinanzierung des Krieges zu verfügen.

Die Politik der ungedeckten Schecks, der kurzfristig fälligen Reichsschatzanweisungen und der "schwebenden Reichsschuld", einer Finanzwirtschaft also, die als betrügerisches Schnellballsystem funktionierte, machte die deutschen Politiker strukturell unfähig, nach Verständigung zu suchen. Die NS-Führer mussten die Expansion vorantreiben. Jedes Innehalten hätte das sofortige Ende ihres Regimes bedeutet. Sie konnten sich den Stillstand nicht leisten, auch nicht nach einem Siegfrieden im Jahr 1940 […] — Aly: Hitlers Volksstaat, S. 354

Kritik

Mit dem Buch Hitlers Volksstaat gelingt es Götz Aly vorallem den wichtigen Zusammenhang zwischen Holocaust, Kriegsfinanzierung, Versorgung der Heimat und Ausbeutung der besetzten Gebiete aufzuzeigen. Die Details der für die Mehrheit der Bevölkerung des "Großdeutschen Reiches" attraktiven Seiten des Regimes werden weniger thematisiert, als die Frage ihrer Finanzierung. Alys Untersuchungen zeigen, wie "Hitlers Volk" im Großen wie im Kleinen von den Raubzügen profierte und damit zumindest seine Passivität erkauft wurde.

Nach der Lektüre wundert es weit weniger, weshalb viele Deutsche und Österreicher die Kriegsjahre – abgesehen von Luftkrieg und anderen direkten Kriegserlebnissen – weit weniger schlimm in Erinnerung haben, als die chaotischen Monate zwischen dem Zusammenbruch des "Großdeutschen Reiches" und der Etablierung der Besatzungsmächte.

Wie schwierig sich die Untersuchung (auch heute noch) gestaltet hat – von fehlendem Quellenmaterial, Verschleierung bishin zur Verweigerung der Akteneinsicht und Hilfe –, ist im 1. Teil unter "Hinweise zur Lektüre" nachzulesen. 60 Jahre nach Kriegsende ist die Aufarbeitung der Vergangenheit immer noch problematisch.

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2.8.2005

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